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Samstag, 1. August 2009

Heisofega im Paradies

Im Garten fand das alljährliche große Sommerfest statt. Viele Gäste waren gekommen. Der Herr Bürgermeister mit seiner Frau, der Lehrer, der Hausarzt mit seiner Familie, die Vorsitzende des örtlichen Sportvereins, viele Freunde, der Kinderchor, der einige Lieder vorsang. Natürlich auch alle Nachbarn, denn es sollte sich ja niemand über den Lärm beschweren können. Und ein Kamerateam vom regionalen Fernsehsender war ebenfalls gekommen.
Manche Freunde waren von weit her angereist und übernachteten im nahe gelegenen Hotel, da wir unmöglich alle in unserem Haus beherbergen konnten.
Alles war wie in jedem Jahr. Wir hatten den Rasen gemäht, die Rosen geschnitten, besonders schöne Blumen in Vasen gestellt und gefegt und geharkt. In die Bäume hatten wir bunte Lampions gehängt, die in der Dämmerung Licht spenden sollten. Ein großer runder Papiermond war auch dabei.
Seit Tagen hatten wir gebacken, gebraten, gekocht, Gemüse und Salat geschnitten und viele leckere Speisen zubereitet.
So feierten wir miteinander. Jeder Gast fühlte sich wohl.
Von allen unbemerkt, angelockt von den Stimmen und der Musik, schlängelte sich Heisofega, die Schlange, aus dem benachbarten Wald heran. Sie atmete den Duft der Köstlichkeiten und dachte sich, den einen oder anderen Happen ergattern zu können. Sie war sehr hungrig.
"Oh welche Freude." frohlockte sie in ihrem Versteck im Gebüsch.
Al sich alle Gäste auf dem Vorplatz versammelten, um der Ansprache des Herrn Bürgermeister zu lauschen und gemeinsam auf das gelungene Fest, den schönen Sommer und das Leben ganz allgemein anzustoßen, sah Heisofega ihre Chance, sich ein paar von den Leckerbissen zu holen.
Die Menschen standen, jeder mit einem gefüllten Glas in der Hand, abseits der langen, wunderbar gedeckten Tafel. Lautlos glitt Heisofega durchs Gras, hoch auf die Sitzfläche eines Stuhles und von dort weiter empor auf den Tisch.
Was sie dort, liebevoll aufgetragen, erblickte, übertraf all ihre Erwartungen. Direkt vor sich sah sie eine Platte voller Weinkrautwickel, gefüllt mit Lachs, gleich daneben ein Tablett, beladen mit gebackenen süßen Teilchen und weiter hinten Schüsseln, gefüllt mit Spargelspitzensalat und geröstetem Gemüse.
Während sie noch überlegte, womit sie ihr Festmahl beginnen sollte, schlichen sich zwei Chorkinder ganz leise heran. Auch sie wollten sich eine der Süßigkeiten stibitzen.
Blitzschnell kringelte sich Heisofega um eine grüne Blumenkohlterrine aus Porzellan. Sie verharrte ganz still. So konnte sie nicht entdeckt werden.
Die Kinder brauchten nicht lange zu überlegen. Beherzt griffen sich jeder einen Honig-Kirsch-Pfannkuchen. In die andere Hand passte noch eine Marzipanraute. Und schon waren sie ebenso leise, wie sie gekommen waren, wieder verschwunden. So merkte außer Heisofega niemand, dass sie überhaupt da gewesen waren.
"Nun muss ich mich aber beeilen" sagte sich Heisofega, "bevor noch weitere Leute heimlich naschen kommen. Schließlich will ich mich hier auch satt essen."
Sprach es und begann eilig in sich hinein zu stopfen, was ihr gerade vor die Nase kam: Nordseekrabben, gepökelte Spanferkelrippchen, Buttermilchreis mit Johannisbeeren, Filetscheiben vom Kalb, Prinzregententorte, Pistazienschiffchen, Pflaumenmakronen und gefüllte Baisermuscheln.
Heisofega nahm sich nun keine Zeit mehr, zu wählen, zu kosten und zu genießen. Ein Stück nach dem anderen verschwand in ihrem Schlund.
Schon hörte sie die Stimmen der Leute näher kommen. Die Reden waren wohl gesprochen und die Gläser leer getrunken.
"Bloß schnell weg!" schmatzte sie mit dem Mund voller kandierter Kürbisstäbchen. Schon um das Tischbein geschlungen, zum Abstieg bereit, richtete sie ihren Leib noch einmal auf und schnappte nach einem Stück Putenbraten. Dann glitt sie zurück ins Gras, hin zu den Sträuchern, wo sie vorerst geschützt vor Entdeckung sein würde.
Aber oh weh! Sie war so voll gestopft mit Leckereien, so schwer geworden, dass sie nicht so schnell voran kam, wie sie es gern wollte.
Mit letzter Kraft erreichte sie das tarnende Dickicht, zum Glück ohne entdeckt zu werden.
Hier wollte sie nun eine Weile verschnaufen, denn in ihrem Bauch rumorte und zwickte und zwackte es ordentlich. Heisofega hatte nicht nur viel zu viel und durcheinander gegessen, sondern auch noch viel zu hastig. Sie weinte ein bisschen, ganz leise, so dass niemand sie hören konnte, über ihr Bauchweh.
Aber das Fest, das sie selbst mit all den feinen Sachen gefeiert hatte, war doch zu schön gewesen. "Genau so muss das Paradies sein." dachte Heisofega noch, bevor sie einschlief.
Die feiernden Menschen im Garten bemerkten von all dem nichts...

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